Bei der Lucerne Festival Academy findet eine sanfte Erneuerung statt: Wolfgang Rihm, der Nachfolger von Pierre Boulez, hat ein eigenes Kompositionsseminar ins Leben gerufen. Die Lucerne Festival Academy löst sich nur ganz behutsam von ihrem Gründer und langjährigen charismatischen Leiter Pierre Boulez: Mit seinem Nachfolger Wolfgang Rihm und dem neuen «Principal Conductor» Matthias Pintscher haben zwei Persönlichkeiten das Erbe angetreten, die es in Boulez’ Sinne weitertragen wollen. Trotzdem findet schon im ersten Festival nach dem Tod des Spiritus Rector eine sanfte Erneuerung statt: Rihm hat ein eigenes Kompositionsseminar ins Leben gerufen.
von Michelle Ziegler
Klare Unterschiede
«Ich dachte mir, es müsste eine Möglichkeit der Begegnung von schöpferischen jungen Menschen mit den Interpreten geben.» Die Ausschreibung stiess auf gewaltiges Interesse: Über 120 Bewerbungen aus aller Welt trafen ein, aus denen zwölf Kandidaten ausgewählt wurden. Nebst individuellen Begabungen wollte Rihm insbesondere jene Komponisten unterstützen, die «mit Interpreten zusammenarbeiten und Interpreten brauchen». Elektronische Stücke und Konzeptmusik fielen weg, die Besetzung war auf ein zwölfköpfiges Ensemble ohne Elektronik beschränkt.
Acht Nationen, drei Komponistinnen und sieben Komponisten im Alter von 18 bis 31 Jahren: Da kommen viele unterschiedliche Erfahrungshorizonte und Ansätze zusammen. In der ersten Konzerthälfte treten insbesondere die Unterschiede zwischen klar konzipierten und in ihrer improvisatorischen Triebkraft noch nicht ganz gefassten Kompositionen hervor. Leicht zu folgen ist dem Ungarn Máté Bella in seinem Streichquartett «Tanulmány», welches das abgesonderte Cello in einen kurzweiligen Austausch mit den anderen Streichern stellt und sich in klärenden Vokalisen vom Tonband auflöst.
Noch schlüssiger drückt sich der Nordire Patrick Brennan in seinem «Polly Roe» für Ensemble aus, das sich von einem Zentralton aus vielschichtig auffächert, um sich ihm gegen Ende wieder anzuschmiegen. Franz Ferdinand August Rieks’ romantisch schwelgendes «Die hängenden Menschen über dem Horizont kehren zurück» für Ensemble spinnt sich hingegen aus improvisierten Gesten fort. Seine Wucherungen würden mit der ein oder anderen Schärfung noch fasslicher. Der Kontrast zu seiner Kollegin aus Rihms Karlsruher Kompositionsklasse ist gross: Kathrin A. Denner entwickelt ihr «Vertical loop task» ganz schlank aus kleinsten Zellen und Patterns.
Emphatischer Vermittler
Nach der Pause verbreitert sich die Palette stilistisch. Einen eigenwilligen Anfang macht Nicolas Kuhns «4.1» für Flöte, Oboe, Klarinette und Klavier, das in seiner konsequenten Reduktion auf Einzelereignisse (wie einen repetierten Ton) überrascht. Auf ein Element der Gestaltung konzentriert sich auch die Ukrainerin Anna Korsun in «Undersurface»: unterschiedliche Wellenformen erscheinen hier als Schwebungen, Triller und Glissandi, die mit dem Knall eines zerplatzenden Ballons entfesselt werden. In Michaela Catranis’ «Pulse» findet Rihms Idee für das Kompositionsseminar besondere Entsprechung, da sich hier der Interpret Simon Thompson als ein emphatischer Vermittler der schlüssigen Partitur gibt. Nur die Länge des Konzerts erwies sich als problematisch, da gegen Ende die Konzentration im Publikum merklich schwand.